Symphonie

Aus den Lautsprechern erklingt leise klassische Musik. Sie erinnert dich an den Frühling und an die Zeit, der ersten Liebe. Du versinkst vollkommen in den Klängen, Tränen rinnen aus deinen Augen langsam an deiner Wange herunter. Du scheinst sie nicht einmal zu bemerken, so fasziniert dich diese Melodie. Welch ein Spiel des Orchesters, die Geigen scheinen zu weinen und jeder Ton der Bratschen klingt wie Wehmut. Dann „tanzen“ wieder die ganzen Streichinstrumente miteinander. Es ist einfache eine Lust dieser Musik zu lauschen, ohne gestört zu werden, sich seinen Gefühlen hinzugeben. Das Gesicht scheint jeder einzelnen Note mit seinen Bewegungen zu folgen. Du wünschst dir nichts sehnlicher, als jetzt mit einem geliebten Menschen Arm in Arm zu liegen, seine Wärme zu spüren, ohne dabei auch nur ein Wort zu sagen. Einfach sich treiben lassen, sich fallen lassen und doch zu wissen, es ist jemand da, der mich auffängt. All diese Gefühle können in dieser Musik verborgen sein. Doch was nützen alle Gedanken, sie allein machen dich nicht glücklich. Du sehnst dich, wie die Geigen, nach mehr. Tief in dir ist ein Gefühl, das du mit niemandem zu teilen vermagst. Es liegt im Verborgenen und du möchtest es hervorholen. Aber wer ist da, der es mit dir teilt? Ist diese Welt denn nur für jeden allein da, gibt es da noch einen anderen Menschen, der ähnlich empfindet?
Die Musik ändert ihren Stil.
Auf einmal wird Alles beschwingter, lustiger, ja fröhlicher als zuvor. Der Komponist scheint geahnt zu haben, welche Gedanken in dir aufkommen und hat wohl deine Tränen gesehen. Nun nicht verzagen und weg mit dem Trübsal. Da gibt es so viele schöne Dinge im Leben, die zu ergründen es sich lohnt, also frisch ans Werk. Suche deinen Gegenpart, wo auch immer er ist. Lass dich anstecken von der Freude der anderen Menschen in deinem Umfeld. Nimm einfach Besitz von der guten Laune, dem Lachen der Anderen und du wirst sehen, der Kummer geht fort, die Gedanken werden frei. Denke an die schönen Sachen, die dir noch passieren können.

Das Leben will dir noch so viel geben, nutze jede sich dir bietende Gelegenheit. Das Ende kommt oft schneller, als man es erwartet. Nur du wirst wissen wann das ist. Meine Gedanken lassen sich einfach treiben. Ich sehe auf der Straße einen netten jungen Mann, eigentlich ist er fast noch ein Kind, vielleicht gerade achtzehn Lenze. Lange, blonde Haare fallen von seinen Schultern, das Sonnenlicht malt fast so etwas wie einen Heiligenschein um seinen Kopf. Ich denke so bei mir, „lieber Gott, wenn es einen Engel im Himmel gibt, dann lass ihn bitte so aussehen.“ Er lächelt mich an, mit einer Selbstverständlichkeit, die wohl der heutigen Jugend nur eigen ist. Ich lächle zaghaft zurück, fast schamhaft. Meint er wirklich mich oder sieht er hinter mir ein junges Mädchen im Kaffee ?
Nein, da ist niemand hinter mir, bemerke ich, nachdem ich mich umgedreht habe. Also galt sein Lächeln doch einzig mir. Ich fühle mich geschmeichelt und winke ihn mit einer Geste zu mir an den Tisch. Er folgt meiner Aufforderung, so, als hätte er darauf gewartet. Wir kommen ins Gespräch und ich stelle fest, er ist gar nicht so jung in seinen Ansichten, wie ich geglaubt hatte. Eigentlich ist seine Wesensart so, wie ich sie mir immer von einem Partner erträumt habe. Je länger wir miteinander plaudern, um so besser scheine ich mich in ihn hineinversetzen zu können. In meinen Gedanken male ich mir aus, wie es sein würde, wenn wir beide zusammen sind.
Doch auf einmal sagt mir mein Verstand, – nein, – es darf nicht sein.
Schließlich sollte ich daran denken, dass ich verheiratet bin. Meinen Mann und meinen Familie wegen des Jünglings aufs Spiel setzen ? Dennoch, die für ihn empfundenen Gefühle machen mich glücklich. Jetzt weiß ich endlich wieder, wie es ist „Flugzeuge im Bauch“ zu haben. Wir verabreden uns für einen der nächsten Tage. „Lass uns doch ins Kino gehen“, sagt er ganz spontan. „Hältst du das für eine gute Idee“, frage ich ihn, „warum nicht“, sagt er mit sicherer Miene. Wir gehen also ins Kino. Trotzdem der Film äußerst interessant ist, beobachte ich Ihn die ganze Zeit. Sein Lachen und sein Weinen erwecken in mir Gefühle, die ich schon lange nicht mehr hatte. Am liebsten möchte ich die ganze Welt umarmen, ihn drücken, ihn küssen, aber ich traue mich einfach nicht.
Diese Beziehung ist mir zu wertvoll, als dass ich sie mit meinen Gefühlsausbrüchen zerstören möchte. Ja, wenn er den Anfang machen würde, mir zeigt, welche Gefühle er für mich empfindet, ja dann, aber ich bin mir nicht einmal sicher, dass er auch genau weiß, was ich fühle. Also lass ich meine Gefühle weiterhin im Verborgenen, gebe nur soviel davon Preis, wie ich selbst glaube verantworten zu können.
Und da ist es heraus, er hat eine Freundin, – ich bin ein wenig irritiert. –
Habe ich mir jetzt den Vorwurf selbst zu machen, dass ich vielleicht mit meinen Versuchen, ihn zu sehr auf mich aufmerksam zu machen, zu voreilig war, zu selbstsüchtig. Ich weiß es nicht, ich bin verunsichert. Dennoch sehen wir uns häufiger. Ich kann einfach nicht loskommen von diesem Anblick.
Was wohl seine Bekannten von mir denken müssen, so eine „alte Frau“ und er ist doch noch so jung. Das kann einfach nicht gut gehen, die will ihn doch nur vernaschen! Selbst wenn es so wäre, wer will hier Kläger sein, wer Richter. Und alt genug, um zu wissen was wir wollen, sind wir beide doch allemal. Dennoch drängt sich mir die Frage immer mehr auf, zerstöre ich nicht mit meiner Gegenwart das Vorhandene, bin ich nicht doch zu sehr Egoist, versuche ich nicht zu sehr ihn in eine bestimmte Bahn zu lenken, was er oftmals selbst sehr gut mitbekommt.
Der nächste Tag bricht an, wir liegen im Bett, mein Mann scheint noch zu schlafen, ich bewege mich langsam zu ihm hinüber, gehe mit meinem Kopf unter seine Decke, lege ihm auf seinen Rücken und spüre seine Wärme. Ich schlafe noch einmal für kurze Zeit ein. Wieder aufgewacht, bewege ich mich mit meinem Mund vorsichtig an seinem Rücken entlang , auf seinen Po zu und knabbere dabei leicht an seiner Haut. Er zeigt keine Regung. Erst als ich beginne ihn zwischen seinen Beinen mit meiner Zunge zu streicheln, reagiert er. „Lass das bitte, ich möchte das nicht,“…
was war denn das jetzt, hatte ich mich verhört, ich wollte doch eigentlich ihn nur lieb wecken, mit meinem Mund, mit meiner Zunge, meinen Lippen. Ich hatte mir das so schön ausgedacht, wir hatten heute Zeit, denn schließlich war Sonntag und ich wollte ihn nett wach werden lassen und dann das. Dies war also wieder einer jener Tage, an denen ich mir wünschte , ich würde in einem anderen Bett wach werden. Ob mein Jüngling auch so auf meinen „Morgengruß“ reagieren würde.
Meine Phantasie beginnt mich zu beherrschen, ich male mir aus, wie es wäre, wenn ich morgens neben ihm wach werden würde, er würde auf dem Bauch liegen, ich würde mit meinen Lippen und meiner Zunge langsam seinen Rücken entlang fahren und jede seiner Bewegung genießen. An seinem festen, knackigen Po angekommen würde ich ihn mit meinen Händen auffordern, seine Beine leicht zu spreizen. Mein Kopf würde sich zwischen die Schenkel pressen und mein Mund würde genau die Stelle finden, an der er es besonders mag. Ein, „ich möchte das nicht,“ könnte ich mir nicht vorstellen. Er würde sich , von meinen Spielereien in Stimmung gebracht, auf den Rücken drehen und ich hätte alle Zeit der Welt, um mich an ihm und seinem besten Stück zu vergnügen.
Seinen Hände würden mir sanft meinen Rücken herunter gleiten, bis sie an meinen Locken angekommen sind. Ich bin mir sicher, dass er wüsste, was er an dieser Stelle tun kann, um mich in die nötig Stimmung zu bringen. Mein Körper würde sich ihm völlig hingeben. Wir würden uns lange lieben, ohne an Tabus zu denken.
Ach ja, das wäre wirklich ein schöner Morgen, aber leider nur Phantasie. Wer weiß schon wirklich, ob denn all dies auch wirklich sein würde oder doch nur Gedanke bleibt.
Ich nehme mir vor, es herauszufinden, aber wie fange ich es an, ohne bei ihm den Eindruck zu hinterlassen, es wird doch nur ein „one night stand“, daran liegt mir überhaupt nichts. Ich habe Angst, ich könnte schon mit einer Frage allein all das zerstören, von dem ich glaube, dass es bis heute unsere Beziehung ausmacht. Also wie sag ich‘s ihm, ohne ihn zu verlieren oder gar zu verletzen, ein schwierige Aufgabe, bei der ich sehr diplomatisch vorgehen sollte. Eigentlich ein guter Anlass, dass ich darauf nicht gleich gekommen bin, wir haben doch im Februar den Valentinstag, was liegt also näher, als ihm an diesem Tag einen schönen Strauß Blumen zu schenken. Mit einem Zustellservice werden sie gebracht, damit niemand aus seiner Familie einen Verdacht schöpfen kann und keiner irgendwelche falschen, aber doch richtigen Schlussfolgerungen zieht. So werde ich es machen, ein Geschenk von mir persönlich, am richtigen Tag für die richtige Person und niemand, außer uns beiden weiß etwas davon. Um aber keinen Fehler zu machen, werde ich ihn vorher fragen, ob es ihm Recht ist, denn er hat ja seine Freundin und wenn die erfährt, dass der Gruß nicht von einem Familienangehörigen, sondern von jemand ganz anderen ist, dann gibt es ungewollte Probleme.
Das möchte ich auf gar keinen Fall, also frage ich ihn, er ist der Meinung, wir sollten diese Art der Überraschung doch lieber lassen , denn das Getratsche in der Familie und die anschließenden Erklärungen und Ausreden würden nur eine Belastung darstellen.
Schwermütig willige ich ein, wenn auch mein Herz ja sagt, so sagt mein Verstand, es ist richtig so. Der Tag kommt und ich weiß, ich habe keine Möglichkeit an ihn heran zu kommen. Meine Gedanken kreisen bereits am Morgen nur um ihn. Mein Herz ist schwer von der Last, die ich mir selbst auferlegt habe und es ist niemand da, mit dem ich über meine Gefühle reden kann. Mir ist jedes Gespräch zu Hause zu viel, ich kann keinen klaren Gedanken fassen, ohne an ihn dabei zu denken. „Reiß dich zusammen“, sage ich mir selbst im Inneren, „du kannst dich nach Außen nicht so gehen lassen, willst du denn, dass alle auf dich aufmerksam werden. Das wäre nicht gut, nicht für mich, aber vor allem nicht für ihn.
Ein neuer Tag wird vielleicht auch neue Antworten, sicherlich aber auch ein paar neue Fragen bringen. Ich beschließe ich anzurufen, um mich mit ihm zu einem Abendessen zu verabreden. Er ist begeistert von meinem Vorschlag und willigt ein.
Am Abend hole ich ihn ab und wir gehen in ein kleines Lokal außerhalb der Stadt. Offensichtlich sind wir hier die Einzigen. Das Personal ist gelangweilt, und so fühlen wir uns in unsere Ecke fast ungestört. Heute soll nun der Tag sein, an dem ich mir vorgenommen habe, näher als nur in meiner Fantasie, an ihn heranzukommen. Nach ein paar Martini versuche ich ganz zaghaft mich an ihn heranzutasten. Ich bewege mich mit meinem Kopf vorsichtig auf ihn zu, immer mit den Augen auf seine Augen gerichtet, um bei der kleinsten Ablehnung den Rückzug antreten zu können. Vielleicht hätte jede andere Frau schon längst den direkten Angriff gewagt, aber dazu fehlen mir wohl die Erfahrungen oder die Routine, denn es ist schon eine längere Zeit her, dass ich so etwas das letzte Mal gemacht habe.
Bei meinem ersten Versuche spüre ich deutlich, wie er mich zurückweisen will, zwar nicht direkt mit Worten, aber seine Gesten verraten mir, ich sollte mich zurückhalten. Um nichts zu vermasseln gehe ich mit meinem Kopf zurück, setze mich wieder zurück auf meinen Platz. Wir reden über seine Gefühle, seine Gedanken, über uns beide. In mir entwickelt sich der Eindruck, dass dieser Abend eine andere Wende nehmen könnte, als ich es erwartet hatte. Ich starte den zweiten Versuch, mich ihm mit dem Mund zu nähern und beobachte auch dieses Mal wieder seinen Gesichtsausdruck. Er schwankt zwischen ja und nein und ich sehe, dass ihm diese Gedanken Schwierigkeiten bereiten.
Aus diesem Grund beende ich auch diesen Versuch und beschließe für heute mit den Annäherungsversuchen Schluss zu machen. Wie kann auch eine so erfahrene Frau, jedenfalls sollte ich das sein, sich auf ein solches Spiel einlassen.
Der Abend war zwar nicht „erfolgreich“, aber ich bin dennoch glücklich über das Zusammensein und das allein zählt für mich in dieser Zeit.
Einige Tage später.
Wir treffen uns ganz unverabredet, nach einem Wochenende. Er macht einen recht ernsten Eindruck. Irgend etwas ist am Wochenende passiert. Richtig, er hatte seine Freundin verlassen. Eine Reaktion, die ich eigentlich vorausgesehen habe, denn es kriselte schon seit längere Zeit zwischen den beiden. Nun war er ja eigentlich frei für mich, so dachte ich im ersten Moment etwas egoistisch, aber den Gedanken verwarf ich ganz schnell wieder, denn in erster Linie waren mir seine Gefühle wichtig, nicht die meinen.
„Möchtest du darüber reden oder soll ich dich heute lieber allein lassen“, fragte ich ihn. „ Nein, bleibe bitte , ich brauche jetzt einen Menschen, mit dem ich reden kann.“
Ich war froh über seine Antwort, denn ich wollte ihn so nicht allein lassen, allein mit seinen Gedanken und Gefühlen. Wir unterhielten uns sehr lange über seine Freundin, das Warum der Trennung, seine Gedanken zu einer neuen Bindung und jetzt bemerkte ich, dass wohl unsere Beziehung in nicht all zu langer Zeit, wie eine Seifenblase zerplatzen würde. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir bald am Ende unserer sagen wir einmal „Romanze“ waren.
Mein Verstand sagte mir, dass es so sein würde, nur mein Herz wollte es nicht glauben. Wer von beiden würde Recht behalten, diese Frage kann nur die Zeit beantworten.
Nach mehr als einer Woche sahen wir uns wieder. Diesmal hatte ich ihn angerufen, um zu wissen, wie es ihm geht, denn er hatte nichts mehr von sich hören lassen, seit unserem letzten Gespräch. Ich sah in ein ernstes Gesicht, bei dem es eigentlich keiner Worte mehr bedarf, um mir zu sagen, dass dies unser Ende war. Das Ende einer Beziehung, die eigentlich gar keine war, aber dennoch für mich sehr viel Herzblut gekostet hat.
Nun, ich wartet dennoch mit großem Herzklopfen auf seine Worte. Und es kam, was kommen musste, er sagte mir, das er nach der Enttäuschung mit seiner Freundin erst einmal zu sich selbst finden wollte und jetzt keine neue Bindung eingehen möchte, zumal unser Altersunterschied ja auch sehr groß ist und er sich zu Hause schon für unsere letzten Begegnungen immer Ausreden hatte einfallen lassen müssen.
Seine Eltern glaubten ihm nicht, denn sie ahnten wohl, dass er eine „ältere Frau“ kennen gelernt hatte. Er wollte nicht mehr mit diesen Ausreden leben, sich nicht hinter fadenscheinigen Gründen verstecken, die eines Tages auffliegen könnten. Ich hörte ihm zu , bei jedem seiner Worte ging mein Herzschlag höher. Es tat einfach nur weh, ich musste mich zusammenreißen, um nicht sofort in Tränen auszubrechen. Das hätte ein Bild für die Götter gegeben, eine Frau in meinem Alter weint vor einem Jüngling. All diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich zu hause, vor meinen Lautsprechern sitze und mich der Musik hingebe. Vielleicht werde ich ja, eines Tages, eine Antwort bekommen auf all diese Fragen.
Wer weiß, vielleicht bin ich enttäuscht darüber, vielleicht aber auch überrascht, ich werde sehen.
Auf jeden Fall möchte ich der Nachwelt erhalten, was Musik in einem Menschen, zu einer ganz bestimmten Zeit hervorrufen kann. So gehabe dich denn wohl, du meine Muse und bleibe mir gewogen.

Das Konzert ist beendet.