Dunkelheit

Die Kneipenluft war voll vom Zigarettenqualm. Als sie eintrat hatte sie Mühe den Barkeeper hinter dem Tresen zu erkennen. Versteckt in einer Ecke saß ein Mann, es sah so aus, als ob er sich absichtlich ganz nach hinten gesetzt hatte, er wollte wohl von den Anderen nicht gestört werden und auch sonst von Niemandem erkannt werden. Auf der Suche nach einem freien Platz kam sie auch an seinem Tisch vorbei, dort waren die einzigen freien Stühle im ganzen Raum. Höflich fragte sie ihn, ob denn hier noch ein Platz frei wäre. Ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen antwortete er,  mit einem grollen in der Stimme, „bitte“.

Diese Stimme, ich habe sie schon einmal gehört, dachte sie so bei sich. Da gab es vor ein paar Jahren einen jungen Mann, den sie
kannte. Einen gut aussehenden, interessanten Mann, der eine Ausstrahlung auf sie hatte, wie bis heute kein zweiter. Er wußte sich auszudrücken, sich zu benehmen, hatte immer eine Idee seine Zeit zu gestalten, immer etwas Neues im Kopf. Nicht wie die anderen Jugendlichen oder jungen Männer in seinem Alter, er schien ihnen um Jahre voraus zu sein. Das war es auch, was sie so an diesem Mann faszinierte, was ihn so für sie anziehend machte. Damals war sie schon um Vieles älter als er, dennoch hatte sie sich beide irgendwie gefunden.

Sie verbrachten eine schöne Zeit miteinander, trotz der vielen Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten. Da war seine Familie, die es niemals
verstanden hätte, daß er ein Verhältnis mit einer Frau hatte, die seine Mutter hätte sein können, da war ihre Umgebung, die sie fast für verrückt
erklärt hätte, wenn sie gewußt hätten, wer ihr Partner war. Aber sie hatten sich gefunden und was für sie beide am Wichtigsten war, sie liebten sich, wenn auch heimlich und versteckt, so war es doch für beide schön. Die Anderen sollten sich erst einmal an ihre eigenen Nasen fassen, hatten sie sich gesagt, sie sollten vor ihren eigenen Türen kehren, da hätten sie genug zu tun. Was hatten sie nicht alles zusammen unternommen, wo waren sie nicht überall hingefahren, ihnen viel immer etwas Anderes ein. Sie hatten eine schöne Zeit miteinander.

Sie liebten sich wann und wo sie wollten und waren dabei sehr erfinderisch. Sie hatte die Erfahrung und er war ein gelehriger Schüler, brachte auch noch die eine oder andere Idee, die sie zusammen ausprobierten. Sie waren rundherum glücklich.
Dann kam dieser Tag, den sie bis heute nicht vergessen kann. Abends, in ihrer Lieblingskneipe, kam diese Frau herein. Sie sah aus, wie eines dieser Supermodel aus dem Fernsehen, sehr schlank, blonde lange Haare, eine Traumfigur.

Mit einer Selbstverständlichkeit setzte sie sich ausgerechnet an ihren Tisch. Den ganzen Abend machte sie ihren Freund an. Flirtete mit ihm,
forderte ihn richtig heraus und er merkte nicht, wie er ihr ins Garn ging. Gegen diese Frau hatte sie keine Chance, deshalb räumte sie auch kampflos das Feld. Auch wenn sie wußte, daß diese Beziehung nicht halten konnte, daß ihm diese Frau nur das Herz bricht, kapitulierte sie vor der Jugend und der Schönheit der Anderen.

Ohne daß er es bemerkte ging sie aus dem Lokal. Keine Verabschiedung, kein Kuß, in ihren Augen sah man nur Tränen.

Und heute dieser Mann?

Sie versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln, um ihn so zu bewegen seinen Kopf zu heben, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Langsam,
eigentlich mehr ablehnend hob er ihn an. Sie sah in sein Gesicht, ja, er war es! Er, den sie vor Jahren verloren hatte. Er, für den sie die Sterne vom
Himmel geholt hätte, den sie geliebt hatte, wie keinen anderen. Aber was war aus ihm geworden. Seine Augen hatten nicht mehr dieser Leuchten, das Funkeln, das Feuer. Wo war das Vibrieren in seiner Stimme geblieben, das sie vor Erregung erschauern ließ?

Wo war das Lachen in seinem Gesicht geblieben? Die Augen waren leer, das Gesicht vor Trauer zerfurcht, seine Stimme klang nur noch mürrisch. Er war innerlich ausgebrannt. Dieses Model hatte ihm seine Seele genommen, sein Feuer, sein Lachen. Nachdem ihn die Andere einfach links liegen gelassen hatte, verließ ihn sein Lebensmut. Ganz tief in seinem Inneren glaubte sie noch an einen Funken der Hoffnung  und den wollte sie in ihm versuchen zu wecken. Konnte sie an die alten Zeiten noch einmal anknüpfen, ihn wieder aufbauen, vielleicht sogar in ihm das Feuer der Liebe wieder entfachen?

Konnte sie ihn wieder für sich zurückholen?

Die Antwort hierauf weiß nur allein die Zeit.