Freud und Leid

Da steht sie nun vor der Gabelung des Weges. Wie wird sie sich entscheiden, geht sie den rechten oder den linken Weg?
Ihre Gedanken sind verwirrt, sie weis nicht in welche Richtung sie gehen soll. Was zum Teufel soll ich jetzt machen, fragt sie sich.
Aus heiterem Himmel gibt es einen fürchterlichen Knall , der Blitz schlägt  direkt neben ihr in den Baum ein, eine riesige Rauchwolke entsteht. Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, steht ein Mann neben ihr, den sie zuvor nie gesehen hatte. Er ist in schwarz gekleidet, mit einem feuerroten Hemd eingehüllt in einen langen schwarzen Umhang.
„Du hast mich gerufen, da bin ich. Was ist Dein Begehr?“
Er sieht zwar unheimlich  aus, aber dafür auch unheimlich gut, denkt sie so bei sich. Ich werde ihn fragen, ob er mir bei der Wahl meines Weges einen Rat geben kann. „Ich kann mich nicht entscheiden zwischen dem rechten und dem linken Weg,“ sagt sie zu ihm. „Bis heute habe ich alle Entscheidungen in meinem Leben selbst getroffen und bin, bis auf einige wenige Ausnahmen, auch gut dabei zu Recht gekommen, aber diese hier erscheint mir unendlich  kompliziert.“ Schließlich könnte es die Entscheidung für den Rest meines Leben und somit auch richtig bedacht sein. „Ich sehe den Zwiespalt in Dir, Du weißt , dass diese Entscheidung eine endgültige  sein kann, von der es kein zurück mehr geben wird, also überlege gut.“ Woher weis er was ich denke, kommt ihr in den Sinn, kann er etwa Gedanken lesen?
„Gehst Du den linken Weg, so erwarten Dich die Freuden des Lebens, wählst Du aber den rechten, so wird er beschwerlich und voller Steine sein,“ sagt ihr der Mann mit ernster Stimme. „Also entscheide Dich für den Richtigen, die Freuden oder das Leiden.“
Bis hierher war mein Weg schon mit so vielen Hindernissen bestückt und steinig genug war er auch, also entscheide ich mich für die Freuden, denkt sie. Ich wähle den linken, er wird mir die Freuden zeigen, Steine habe ich bis heute genug gesehen. „Eine vernünftige Entscheidung,“ sagt der Mann zu ihr, mit einem schallenden Lachen und verschwindet so geheimnisvoll, wie er gekommen war. Sie ging also auf dem linken Weg weiter, durchquerte einen dichten kaum enden wollenden Wald und kam schließlich in eine wunderschöne Stadt. Hier muss ich richtig sein, so einen phantastischen Ort habe ich nirgends zuvor gesehen, erinnert sie sich. Der lange Weg hatte sie durstig gemacht, darum suchte sie als Erstes nach einem Kaffee oder einer Gaststätte. Sie sah ein kleines, etwas abgelegenes Kaffee in einer Seitenstraße und ging hinein. Als sie eintrat glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen, da saßen nur Männer an den Tischen. Ein ganzes Kaffee voller Männer, einer schöner als der andere  und sie mitten drin, das konnte nur ein gutes Omen sein. An welchen Tisch sollte sie sich setzen, überall war genau ein Platz frei. Hier saßen nur blonde Männer, dort nur Südländer, an einem anderen wieder nur dunkelhäutige, eine wirklich schwere Entscheidung. Alle waren auf ihre Art faszinierend. Sie schloss die Augen und ließ einen alten Zählreim entscheiden und die Wahl fiel auf die blonden Herren. Die drei Männer begrüßten sie freundlich. Der eine bot ihr den freien Platz an, der andere half ihr aus ihrer Jacke und der dritte fragte sie, was er für sie bestellen kann. So viel Aufmerksamkeit für sich hatte sie schon lange nicht mehr erfahren, dies musste wohl das Paradies sein.
Nachdem sie sich gestärkt hatte, bot jeder der drei ihr seine ganz persönlichen Dienste an. Jetzt viel ihr zum ersten Mal die Wahl schwer, sie wollte auch niemanden der drei vor den Kopf stoßen, also bedankte sie sich höflich und verließ das Lokal allein. Auf der Straße begegnete ihr ein anderen Mann. Der fragte sie, ob er sie begleiten kann, dies sei seine Stadt, in der er sich auskenne. Gern würde sie noch mehr von dieser Stadt sehen wollen, also willigte sie ein. Er geht mit ihr in ein Tanzlokal. Sie verbringen den ganzen Abend hier. Am anderen Morgen fragt er sie , ob er sie nach Hause bringen kann, da fällt ihr ein, dass sie ja noch gar keine Unterkunft oder ein Hotel hat, wo sollte sie  schlafen? Als ob er es erahnt hat bietet er ihr an, sie könnte bei ihm auf der Couch schlafen. Er lebe allein und es würde ihn nicht stören, außerdem könnte sie sich das Geld für ein Zimmer sparen. Ihr gefiel der Vorschlag sehr, denn sie hatte sich beim Tanzen und im Laufe des Abends in ihn verliebt. „Wenn es keine Umstände macht, nehme ich den Vorschlag an,“ sagte sie zu ihm.
Sein Aussehen, sein Wesen waren genau die Dinge, die sie an einem Mann gesucht hatte, also warum nicht!
Am nächsten Morgen, eigentlich war es bereits Mittag, lagen sie beide immer noch im Bett, sie hatte die Couch gar nicht zu Gesicht bekommen und das fand sie auch gut so. Nach dieser Nacht war sie mehr als glücklich, genau dieses Gefühl hatte ihr gefehlt, so ein Mann an ihrer Seite. Doch was war das, sie traute ihren Ohren nicht, was er da eben gesagt hatte. Nachdem er wach geworden war drehte er sich langsam zu ihr um, machte ein völlig verstörtes Gesicht und sagte zu ihr, „es wird Zeit für dich, du musst gehen, meine Frau kann jeden Augenblick nach Hause kommen.“
Am liebsten hätte sie laut geschrieen.
Dieser Satz hatte sie schlagartig aus all ihren Träumen geholt. Warum musste gerade ihr das passieren? Dabei hatte doch Alles so gut angefangen, die schöne Stadt, die freundlichen Herren im Kaffee und dann diese Nacht mit ihm und nun das plötzliche  Ende. Ganz allmählich begann sie über die Worte des Mannes an der Weggabelung nachzudenken. Was hatte er zu ihr gesagt,
„… gehst du den linken Weg, so erwarten dich alle Freuden des Lebens…“.
Dieses Gesicht, der Anzug, das feuerrote Hemd, der schwarze Umhang, sein Erscheinen nach dem Blitz und dem Rauch, natürlich, es passt Alles zusammen. Es hätte ihr gleich auffallen müssen, so einen Auftritt hat nur einer, der Teufel persönlich. Ja, von den Freuden hatte er gesprochen, aber das Freude und Leid dicht nebeneinander liegen, das hatte er natürlich verschwiegen.  Es ist ja so schön einfach, wenn einem nur die schönen Dinge des Lebens vorgezeigt werden, man aber hinter die Schattenseiten selbst kommen muss.

Nicht immer ist es der leichte Weg, der im Leben zum Ziel führt, oft geht man einen beschwerlichen, steinigen, der viele Strapazen in sich birgt, doch am Ende kommt man doch zu seinem ersehnten, wahren Glück.