Nola

Der alte Volvo hatte Mühe den Berg hinauf zu fahren. Mit schleifender Kupplung und viel Gefühl schaffte er es bis in den Hof. Christian sah sich um. Auf dem Burghof waren nur junge Leute. Was sollte er hier, hatte sich sein Chef etwa geirrt, als er ihm sagte er solle zu diesem Lehrgang fahren? Schließlich war er schon fast dreißig. In mitten der Jugendlichen kam er sich wie ein „Opa“ vor. Er fragte einen der jungen Männer nach dem Veranstaltungsleiter. „Der ist irgendwo da hinten, beim Turm,“ sagte dieser und sah ihn dabei von oben bis unten an. „Der muß mich wohl für einen Lehrer oder so etwas gehalten haben,“ dachte Christian bei sich. Er ging in Richtung Turm und sah sich dabei auf dem Hof um. An einem der Fenster sah er eine wunderschöne Frau. Sie hatte langes, glattes, fast pechschwarzes Haar, das weit über ihre Schultern reichte. Ihre dunklen Augen schienen ihn genau zu beobachten. Als er einen Moment stehen blieb, verschwand sie hinter ihrem Fenster, wie ein scheues Reh, das bemerkt hatte, wie sich ihm ein Fremder nähert. Christian wendete seinen Kopf wieder zurück und wollte gerade auf seinem Weg weiter in Richtung Turm gehen, da sprach ihn ein älterer Herr an. „Sie müssen der Christian aus Pankow sein. Ich habe mir die Liste durchgelesen und festgestellt, daß wir bei diesem Durchgang schon einen erfahrenen Teilnehmer haben und das können eigentlich nur Sie sein.“ „Richtig, und ich habe schon gedacht, mein Chef hat sich einen Scherz mit mir erlaubt.“ „Ich werde Ihnen jetzt ihre Unterkunft zeigen. Erwarten sie nicht all zu viel, wir sind hier ansonsten eine Jugendherberge und dementsprechend ist auch unsere Ausstattung der Zimmer.“ Es ging aus dem Hof heraus, durch ein großes Tor hindurch, zu einem kleinen roten Backsteinhaus. Gleich nach der Eingangstür ging es in einen kleinen Raum, in dem eine Liege und ein Doppelstockbett standen. Von dort aus war noch eine zweite Tür, durch die man in das Nachbarzimmer kam, indem drei Doppelstockbetten standen.

„Noch haben sie die Wahl. Es sind noch nicht Alle eingetroffen.“ Er entschied sich für die Liege, sie war genau unter einem Fenster und nicht weit von der Tür, so daß er immer den Überblick hatte wer hinein oder heraus ging. „Ich verlasse Sie jetzt, denn ich habe noch Einiges vorzubereiten. Wir essen um neunzehn Uhr, seinen Sie bitte pünktlich, bis dann.“ Nun hatte er Zeit seine Sachen auszupacken und es sich auf der Liege noch etwas gemütlich zu machen. Es war wohl eine gute Stunde vergangen, da hörte er eine Glocke klingen. Er sah auf seine Uhr, „es ist ja schon kurz vor sieben, Zeit für das Abendessen.“ In einem großen Saal waren bereits die Tische gedeckt und die meisten der Plätze waren auch schon belegt. Christian setzte sich an das Ende eines der Tische. Sein Blick ging langsam im Kreis herum. Am anderen Tisch sah er wieder diese Frau. Sie unterhielt sich mit ihrer Nachbarin. Offensichtlich kannten sich beide schon länger. Christian überlegte kurz, ob er noch einmal aufstehen und sich in ihre Nähe setzen sollte, als der Lehrgangsleiter in den Saal kam und mit dem Begrüßungsprogramm begann. „Wir werden das ganz einfach machen. Jeder stellt sich kurz vor, der Vorname reicht, sagt wo er herkommt und wie alt er ist. Wir werden gleich hier vorn bei Dir anfangen , dabei zeigte er auf einen jungen Mann rechts neben sich. Und dann ging es los. Jeder stand kurz auf und sagte seinen Vers. Der eine mit mehr, der andere mit weniger Geschick sich auszudrücken. Christian beobachtete sehr genau, wer denn woher kam und wie alt derjenige ist. Sein Nachbar lenkte ihn für einen Moment ab und verwickelte ihn in ein Gespräch über sein Alter und warum er denn eigentlich hier ist. Dabei hatte er die Vorstellung der hübschen Schwarzhaarigen verpaßt. Etwas mürrisch wendete er sich von ihm ab und hörte den Anderen zu. Nachdem sich alle vorgestellt hatten, erklärte der Leiter kurz die Verhaltens- und Ordnungsregeln für die nächsten zwei Wochen. „Zum besseren Kennenlernen, gibt es nach dem Abendessen die abendliche Disco. Es kommt ein DJ aus der näheren Umgebung, sagte der Leiter. Eine Disco, denkt Christian, passe ich da überhaupt noch hin? Ich werde mich einfach überraschen lassen, vielleicht ist die Musik ja gar nicht so schlecht und wer weis, es kann ja durchaus ein richtig schöner Abend werden, schließlich muß ich zwei Wochen mit den Menschen hier zusammenleben und da ist Anpassung angesagt. Der Abend verlief ganz anders als erwartet. Unter den Jungs war einer, mit dem er sich sofort anfreundete. Er hieß Maik. Mit ihm kam er sofort ins Gespräch. Es ging um Autos, Arbeit und um die schönste Sache der Welt- Frauen. Und davon gab es hier eine große Auswahl. Fast zwei Stunden lang unterhielten sich die beiden, hatten nur kurz den einen oder anderen Blick für ihre Umgebung übrig. Aus den Boxen des DJ´s tönte es „Damenwahl“, beide hatten bei ihrer Unterhaltung nichts davon mitbekommen und waren vollkommen überrascht, als zwei Frauen vor ihnen standen und sie zum tanzen aufforderten. Sie schauten sich an und fingen an zu lachen, da standen zwei hübsche, jungen Mädchen und forderten sie einfach so auf. Höflich, aber immer noch etwas durcheinander folgten beide der Einladung und gingen auf die Tanzfläche. Der erste Titel war zum Kennenlernen, man konnte zusammen tanzen, es war ein Rhythmus, der leicht zu behalten war. Wie lange hatte Christian schon nicht mehr mit einem Mädchen getanzt, er konnte sich gar nicht mehr richtig daran erinnern. Seine Partnerin war eine sehr einfühlsame Tänzerin. Dann kam der zweite Titel, etwas Langsames, so richtige Kuschelmusik. Seiner Partnerin war das wohl dann doch nicht das Richtige. Sie bedankte sich artig bei ihm und lies ihn dann mitten auf der Tanzfläche stehen. Christian bekam einen roten Kopf, das war vielleicht peinlich. Da steht man mitten im Saal, allein und hat das Gefühl, alle sehen einen an. Langsam ging er auf seinen Platz zurück und setzte sich an den Tisch. Mit leicht gesenktem Kopf sah er sich im Saal um. Was war das, die hübsche, schwarzhaarige Frau saß allein an ihrem Tisch, wie er. Hatte sie sich nicht getraut jemanden aufzufordern, oder war ihr diese Art von Musik auch zu langsam? Christian faßte sich ein Herz, stand auf und ging auf ihren Platz zu. „Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten? Eine Frau wie Sie sollte nicht allein sitzen.“ Was für eine billige Anmache, dachte er so bei sich selbst, sie ist doch etwas Besseres Wert oder hast du es verlernt dich besser auszudrücken? Sie drehte ihren Kopf nur kurz zu seiner Seite und sah gleich wieder in eine andere Richtung. Das war ja wohl nichts, dachte er so bei sich, typischer Fall von „Korb gefangen“, würde ich sagen. Betroffen  ging er zurück an seinen Platz. Da fasse ich mir schon mal ein Herz und gehe auf eine Frau zu und dann passiert mir auch prompt so etwas. Ich bin wohl doch nicht mehr geschaffen für solche Art von Abenteuer. Christian verließ den Saal und ging zurück in seine Unterkunft. Er legte sich auf die Liege, machte es sich bequem und schlief ein. Irgend jemand rüttelte an seinem Arm, es war Maik. „Hast du nicht Lust heute Abend noch eine kleine Party steigen zu lassen“, fragte er ihn. Warum eigentlich nicht, der Abend kann eigentlich nach dem Reinfall nur besser werden. Einer der anderen Zimmergenossen holte eine Kassettenrecorder, ein anderer hatte noch ein paar Flaschen Bier mitgebracht und Maik hatte zwei Flaschen Martini in der Hand. „Da werde ich mal in meiner Tasche kramen, ich glaube ich habe auch noch etwas Trinkbares mitgenommen.“ Sie stellten die Getränke auf einen kleinen Tisch, gleich neben Christians Liege und machten den Recorder an. Im Neubau hatte man von „ruhestörender Lautstärke gesprochen“, aber hier war es gerade richtig. Es dauerte nicht lange und zu den drei Jungs gesellten sich die ersten Mädchen. Jede hatte irgend eine Flasche Alkohol in der Hand. Ehe es sich Christian versah, war seine Liege belegt, überall saßen die Girls. Wie selbstverständlich hatte sich die Schwarzhaarige auf das Kopfende der Liege gesetzt, so, als wäre es die normalste Sache der Welt.

Bevor die Party richtig losging, wurden Kerzen auf den Tisch gestellt und das Licht ausgeschaltet. „Kleine Spielregel“, sagte Christian, „wenn eine Kerze, aus welchem Grund auch immer ausgeht, dann darf sie nicht mehr angezündet werden. Wenn die Letzte aus ist, darf auch das Licht nicht eingeschaltet werden.“ Ob es daran gelegen hat, das er sich vielleicht nicht richtig ausgedrückt hatte oder weil es einfach zu hell im Raum war, es dauerte jedenfalls nicht sehr lange, bis alle Kerzen auf die eine oder andere Art ausgeblasen wurden. Nur das fahle Licht des Mondes erhellte jetzt noch den Raum. Man konnte die Umrisse der Menschen gerade noch erkennen. Mal in der einen, mal in der anderen Ecke war Kichern, ein Lachen oder leises Stöhnen zu hören. Die Party schien allen zu gefallen.
Christian spürte auf einmal eine warme Hand in seinem Nacken, die langsam über seinen Kopf fuhr. Er konnte nicht erkennen, wem sie gehörte, zu dunkel war es in der Zwischenzeit im Raum. „Ich möchte mich bei Dir entschuldigen, für den Korb beim Tanzen. Eigentlich ist das nicht meine Art. Verzeihst Du mir?“ Christian tastete mit seinen Händen über ihren Kopf, an den Haaren herunter. Sie waren lang, sehr lang und faßten sich an, wie Seide. Das mußte sie sein. Er ging mit seinem Kopf ganz dicht an sie heran. Was für ein Duft, er konnte nicht genug davon bekommen. Jetzt nur nicht noch einmal einen Fehler machen, sonst ist sie wieder weg.
„Ich heiße Nola. Eigentlich wollte ich Dich schon ansprechen, als Du auf dem Burghof warst, aber ich habe mich nicht getraut. Du bist mir sofort aufgefallen. Endlich ein richtiger Mann, dachte ich so bei mir, als ich Dich sah. Ich kann mit den jungen Schnöseln nichts anfangen, die wissen einfach nicht, was eine Frau will. Ich glaube Du bist da ganz anders. Du hast bestimmt das nötige Feingefühl, um eine Frau richtig zu verwöhnen.“ Christian war vollkommen geschockt. Was war das jetzt? Erst diese Abfuhr und jetzt schlich sie um ihn herum, wie eine Schmusekatze. Versteh einer die Frauen, dachte er so bei sich. Aber ihm gefiel diese Art der, die Bewegung ihrer Hände. So nach und nach wurde es leerer auf seiner Liege. Die Pärchen hatten sich gefunden und sind in ihre eigenen Zimmer gegangen. Nur Maik war noch im Raum. Er hatte eine süße, kleine Blondine, bei der er sich gerade so richtig ins Zeug legte. Beide vergaßen anscheinend um sich herum, daß sie nicht allein im Raum waren und begannen sich gegenseitig auszuziehen.
Auf einmal sagte die Kleine zu Maik, „ Du, ich habe aber noch nie …“. Christian und Nola lauschten dem Gespräch. Beide hatten sich auf die Liege gelegt und begannen sich gegenseitig mit den Fingern zu erkunden. Christian ging mit seinen Händen unter ihr T-Shirt und bemerkte dabei, daß sie gar keinen BH trug. Bei ihren wohlgeformten, festen Brüsten war ihm das gar nicht aufgefallen.  Nola schnurrte wie eine kleine Katze bei seinen Berührungen. „Komm, zieh mich aus, ich möchte mit Dir schlafen.“ Wenn jetzt das Licht angewesen wäre, hätte man Christians roten Kopf sehen können. Soetwas war ihm ja noch nie passiert, eine Frau sagt zu ihm, daß sie ausgezogen werden möchte. Bis heute hatte er gefragt, ob er sie ausziehen darf, ob sie mit ihm schlafen möchten, aber umgekehrt? Nein, er konnte sich nicht erinnern jemals darum gebeten worden zu sein. Ganz vorsichtig, als könne er etwas zerbrechen, begann er ihr T-Shirt über ihren Kopf zu streifen. Danach zog er ihren „Mini“ aus bis sie nur noch ihren String anhatten. In der Zwischenzeit hatte Maik versucht, die Kleine davon zu überzeugen, daß er ganz behutsam mit ihr umgehen werde und sie sich keine Gedanken machen braucht, er werde aufpassen. Ein recht gefährliches Spiel, dachte Christian so bei sich. Maik benutze kein Kondom, er kannte die Kleine erst seit diesem Abend und ob sie wirklich mit keinem Mann geschlafen hatte, mußte er wohl als gegeben hinnehmen. Wie schnell kann man sich bei solchen „one night stands“ etwas einfangen, an dem man dann sein Leben lang zu knabbern hat. Nola mußte die gleichen Gedanken gehabt haben, bei diesen Worten, denn sie fragte Christian, „hast Du Kondome dabei?“ Er kramte in seiner Hosentasche. „Ja, ich habe hier welche mit Geschmack, ich glaube Banane, welche mit Noppen und ganz schwarze. Hast Du einen Liebling darunter?“ Wie komme ich nur dazu, sie danach zu fragen, dachte er so bei sich, aber eigentlich wollte sie ja wissen, ob ich daran gedacht habe. Christian hatte immer Kondome bei sich, zwar war es schon lange her, daß er sie benutzt hatte, es hatte sich bis jetzt nicht ergeben, aber er dachte sich immer, sicher ist sicher. Und heute bestätigte sich, seine Einstellung war richtig. Maik und die Kleine waren schon richtig bei der Sache. „Es tut doch weh,“ sagte sie. Maik antwortete nur, „es ist ja gleich vorbei.“ Ganz schön abgebrüht dieser Junge, dachte Christian so bei sich, so wollte er nie sein. Wenn eine Frau keinen Spaß bei der Sache hatte, dann hatte auch er nichts davon. Vielleicht eine eigenwillige Einstellung, aber so war er nun einmal. „Nimmst Du bitte den, mit dem Bananengeschmack,“ sagte Nola zu Christian und damit war ihm klar, was in den nächsten Minuten auf ihn zukommen würde. Mit einer Frau, die es ihm mit dem Mund macht, hatte er noch nicht geschlafen. Das wird eine ganz neue Erfahrung für ihn. Und so ließ er sich von ihr ausziehen und verwöhnen. Anschließend zog er ihr ihren String aus und zeigte ihr, daß auch er das Spiel mit Lippen und Zunge verstand. Und so liebten sich beide in der einen und anderen Stellung die ganze Nacht, bis es draußen hell zu werden begann. „Noch drei Stunden, dann werden wir geweckt,“ sagte Nola und kuschelte sich an ihn heran, legte ihren Kopf auf seinen Arm und schlief sofort ein. War es der Alkohol, war es die Aufregung der letzten Stunden, Christian bekam kein Augen zu. Er grübelte die ganze Zeit, wie es nun mit ihnen beiden weitergehen sollte. Würde es bei dem „One Night Stand“ bleiben oder entwickelte sich eine richtige Beziehung hieraus? Die Antwort darauf würde ihm die Zeit geben.
Am nächsten Tag konnte er dem Lehrgangsstoff kaum folgen, seine Augen waren zu schwer und sein Kopf voller anderer Gedanken. Würde Nola heute Abend wiederkommen? Der Abend kam und wieder saßen alle in seinem Raum, auch Nola. Da wußte er, daß es wohl doch nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft war. Nola kam jetzt jeden Abend zu ihm, sie liebten sich jede Nacht. Dann kam der letzte Tag. Die zwei Wochen waren wie im Fluge vergangen. „Ich muß jetzt wieder zurück nach hause. Etwas möchte ich Dir zum Abschied sagen. Es waren die schönsten Tage in meinem Leben, die ich mit Dir verbringen durfte. Du hast mir sehr viel gegeben, ich weiß jetzt, daß ich mit offenen Augen durchs Leben gehen muß und auch unbequeme Fragen ihre Berechtigung haben, wenn man etwas wissen will. Eines noch, bevor ich gehe. Auf mich wartet ein anderer Mann, den ich, wie ich jetzt festgestellt habe gar nicht liebe. Ich werde diese Beziehung beenden. Er wird mir nie das geben können, was Du mir in den Letzten zwei Wochen gegeben hast. Ich würde nie richtig glücklich sein können. Christian stand da, als hätte ihm jemand Benzin in sein Herz gegossen und es angezündet. Es brannte in seiner Brust, nach diesen Worten, hatte er doch insgeheim gehofft, daß aus ihnen beiden eine dauerhafte Beziehung werden könnte. Und nun kam die Ernüchterung, wie ein Hammerschlag.
Er küßte Nola noch einmal ganz zärtlich auf den Mund, „dann wünsche ich Dir von ganzem Herzen, daß Du deine Beziehung in den Griff bekommst.“
Sagte es, stieg in sein Auto und fuhr davon, ohne in den Rückspiegel zu sehen.